Niklaus Jäger, Oberst i Gst, Kommandant MIKA
«Jetzt ist die Bedrohung direkter. Wir sind unmittelbar betroffen.»Oberst i. Gst Niklaus Jäger kommandiert das Kommando MIKA (Management-, Informations- und Kommunikationsausbildung der Armee). Im Herzen ist er Pionier geblieben und immer offen für Neues. Aber wie kann er sich diese Frische bewahren? Ganz einfach: Er übernimmt die Aufgabe des Red Monkey.
Als Oberst im Generalstab sind Sie Top-Manager. Was sind für Sie die Qualitäten, die jemanden in einer Führungsposition zum Pionier machen?Zuerst einmal ist es für mich ganz wichtig, dass man sich selber kennt. Selbstkenntnis ist der Grundstein zu allem. Das ist übrigens auch der Beginn jeder militärischen Kaderausbildung. Der zweite Schritt ist für mich das Selbstmanagement. Dazu sind für mich zwei Bereiche entscheidend: Das eine ist die Neugier – Neugier auf Menschen, Themen, Thesen. Wer die Neugier verliert, kommt in einen negativen Flow.Selbstkenntnis. Hat man in der Armee die Gelegenheit zur Reflexion oder muss schnell gehandelt werden?Militärische Führungsausbildung beginnt sehr früh und sie beginnt mit einem Persönlichkeitsprofil. Bei uns ist es ganz wichtig, dass wir nie alleine führen. Jeder Kommandant ist von einem Team umgeben. Ich beurteile Chefs nie danach, wie sie sich verhalten, sondern was sie für Menschen um sich scharen.Sie kommandieren das Kommando MIKA, welches Teil der Höheren Kaderausbildung der Armee ist. Welche Bereiche sind gegenwärtig in der Armee diesbezüglich stark herausgefordert?Mit der Friedensdividende und der Armee 95 und 21 und wie die alle heissen, haben wir eine Armee gehabt, die subsidiär ausgerichtet war. Das heisst, wir haben uns sehr stark als Krisenorganisationen verstanden. Umweltkrisen, Naturkrisen und anderes. Wir haben es aber verpasst, einen Kern Verteidigungskompetenz zu bewahren. Und das ist zurzeit das, was wir leider in diesem Kontext in Europa wieder haben müssen.
«Wir haben es verpasst, einen Kern Verteidigungskompetenz zu bewahren.»
Die Armee empfindet man von aussen häufig als erratischen Block. Wie können Sie hier Ihre Talente als Pionier einbringen?Die Schweizer Armee ist ein bisschen wie die katholische Kirche, sagt man. Das mit dem monolithischen Block, das stimmt.

Aber wir haben seit etwa 2015 probiert, das zu öffnen. Wir haben damals gemerkt, dass insbesondere Frauen Probleme mit der Armee hatten. Genauer: Mütter. Denn sie müssen ihre Söhne abgeben in einen Block, wo sie keinen Zugang, keine Ahnung und überhaupt kein Verständnis haben. Das haben wir versucht zu öffnen.

Aber weil die Armee ein so grosses System ist, lässt sie auch immer wieder andere zu. Unser aktueller Chef der Armee hat so einen Spruch: «Es gibt die Red Monkeys und es gibt die Farmers.» Ich weiss nicht, ob Sie dieses Bild kennen.

«In der Armee gibt es Red Monkeys: disruptive Elemente im starren System.»
Nein, kenne ich nicht.Kommt aus einer grossen Untersuchung in Amerika: Die Farmer machen die Prärie dicht mit Stacheldraht, wollen alles so wie immer – sogar den Regen zur gleichen Zeit. Die Red Monkeys kommen nachts, graben unter dem Zaun durch und klauen den Weizen und das Gemüse. In der Schweizer Armee gibt es diese Red Monkeys. Wir nennen es euphemistisch «Innovationsbasis», «Mein Kommando» und anderes. An sich sind das alles disruptive Elemente in einem sehr starren System.Und da sind Sie frei.GenauSie sind unser oberster Red Monkey. Und keiner weiss es.Es gibt zum Glück noch einen anderen, der die gleiche Aufgabe hat. Wir sind mittlerweile zu dritt, die wirklich auch als «Red Monkeys» bezeichnet werden. Das wird uns langfristig und mittelfristig im System nicht guttun. Denn Systeme sind sehr bewahrend und rückschlagend. Das heisst, sobald der Support mal weg ist, wird es spannend werden für uns.Sie sprechen die limitierten Karrieremöglichkeiten an. Sie können sich nicht selbstständig machen und sagen: «Das hier passt mir nicht mehr. Ich gründe eine Konkurrenz-Armee.»Klar, wir sind in einem hierarchischen System. Ich bin angewiesen auf gute Qualifikationen. Wir sind sogar in einem Monopolberuf.
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Kommt dazu: So nach 20 Jahren ist man nicht mehr vermittelbar gegen aussen. Dennoch, und das ist diese Analogie zur katholischen Kirche, wir sind so gross, dass wir genau solche Elemente brauchen, um eben Disruption voranzubringen.Als ex-Kommunikationschef, der Sie im Herzen vielleicht noch immer sind, wissen Sie, dass es bei der Kommunikation nicht nur ums Sprechen geht, sondern ebenso ums Zuhören.Welchen Stellenwert hat bei Ihnen das Zuhören?Wir haben jetzt gerade eine neue Initiative auf Stufe VBS, wo wir das Führungsverständnis des Departementes ändern wollen. Und zum grossen Erstaunen ist der erste Punkt «Selbstkenntnis» und der zweite Punkt ist «Zuhören können». In der militärischen Sozialisation geht das etwas verloren. Denn wir sind immer die Ältesten, die Bestausgebildeten und haben ganz viele ständig wechselnde Junge. Und irgendwann mal kommt man in diesen Loop von diesem Film: «Und täglich grüsst das Murmeltier». Das Gleiche geschieht immer wieder. Das muss man durchbrechen. Doch je höher man kommt, umso schwieriger wird es.Wie stellen Sie sicher, dass Sie wirklich noch zuhören können?Indem ich mich zwinge, Notizen zu machen. Indem ich mich zwinge, mit Fragen zu führen und indem ich mich zwinge, dass wir ganz klare Fenster öffnen, wo einfach nur präsentiert und argumentiert wird. Erst nachher wird dann nachgefragt.Sie haben es angesprochen, wir leben in anderen Zeiten als noch vor zehn Jahren. Die Bedrohungslage wird ganz anders wahrgenommen. Sehen Sie darin eher eine Chance oder die Gefahr?

Es ist zweischneidig. Wer etwa in Merkel eine «Friedenskanzlerin» sieht, zeigt eine etwas eurozentristische Sichtweise. Sie war eine Vertreterin der Idee «Kooperation durch Verschränkung des Handels». Aber weltweit gab es immer zwischen 30 bis 50 offene Konflikte.

Jetzt ist die Bedrohung direkter, näher. Meine drei grossen Sorgen sind erstens eine Weltwirtschaftskrise. Zweitens diese Kultur des Bullying, also das Recht des Stärkeren. Die Art und Weise, wie man mit supranationalen Organisationen umgeht, lässt ja wieder zu, dass man Länder erobert. Das Dritte ist dieser Kulturkampf, der sich jetzt entwickelt hat, insbesondere in Amerika. Aber vor allem auch bei uns etwas näher: Ungarn und Slowakei – Polen wird folgen. Da sind wir in Auseinandersetzungen und Fragestellungen drin, die wir uns vorher nicht hätten vorstellen können.

Welche meinen Sie konkret?

Ungarn ist recht klar. Ungarn war ja auch ein Vorbild für das Project 2025 von der Heritage Fundation und Trump. Deren Zielfrage ist: «Wie kann man mit den demokratischen Mitteln einen demokratischen Staat aushebeln und in autoritäre Züge verwandeln.» Erkenntnis: Man muss zuerst alle Autoritäten abschaffen, respektive kaputt schiessen. Dann kommen die Medien dran, dann die Justiz, dann muss man die Bildung gleichschalten. Das ist ja ein bisschen das, was in Ungarn geschehen ist. Das ist das, was etwas Sorge bereitet.

Wir sind jetzt unmittelbar betroffen.

Was sind die Konsequenzen?Das kann sofort weitreichende Folgen haben: Unsicherheit, Unruhen. Eigentlich bin ich zwanzig Jahre genau für eine solche Situation ausgebildet worden. Also ich fühle mich pudelwohl, denn das ist ja genau das, was wir immer vorgedacht haben – und immer gehofft haben, dass es nicht eintritt. Ich wäre froh, es wäre nicht so.
Aber wir waren immer der Meinung, dass irgendwann mal eine Änderung auch in Europa kommen kann.
«Ich bin zwanzig Jahre genau für eine solche Situation ausgebildet worden.»
Sie werden sicher anders wahrgenommen als vor zwanzig Jahren.Das ist auch wieder zweischneidig. Auf der einen Seite ist der Wandel signifikant. Wenn ich im Zug sitze, werde ich gefragt, was ich denke. Wenn ich im Restaurant bin, werde ich eingeladen. Wenn ich Vorträge halte, ist es nicht mehr nur bei der Offiziersgesellschaft, sondern bei der Asylorganisation Zürich. Also es gibt Leute, die auf einmal Interesse entwickeln an diesen Abläufen, an unserem Denken, die das vorher nie gemacht hätten. Und auf der anderen Seite der Rechtfertigungsdruck für das, was wir dann wollen. Der ist immer noch etwa gleich hoch.Ich denke, dass Sie in Ihrer Position nicht nur mit externen Widerständen umgehen müssen. Wie gehen Sie mit internen Widerständen um?

Das ist ein bisschen, wie wenn man am Morgen aufwacht und sagt: «Wenn ich keine Schmerzen mehr habe, bin ich tot.» Sobald ich also mal keine Widerstände mehr spüren würde, hätte ich das Gefühl, ich würde falsche Dinge machen.

Für mich sind Widerstände immer ein Zeichen, dass wir Triggerpoints erreicht, jemanden aus seiner Komfortzone rausgeholt und dass wir Punkte haben, die sehr wahrscheinlich verfolgenswert sind. Und deswegen habe ich immer das Gefühl, ich wachse an Widerständen. Ich brauche die fast, auch um dann jeweils die Einordnung machen zu können. Man wird nie in der Lage sein, alle Widerstände vorwegnehmen zu können.

Habe ich etwas nicht gefragt, was Sie gerne gesagt hätten?Nein, für mich war es wirklich spannend. Hat mal wieder gutgetan. Wir leben in Blasen, stelle ich fest. Zurzeit ist es gerade in meinem Umfeld unglaublich spannend. Ich darf viele Dinge machen, die wirklich nichts mit diesem Militär zu tun haben.Zum Beispiel?Wir haben versucht, die Wirtschaft näher ans Militär zu bringen oder uns in die Wirtschaft zu bringen. Bildungsinstitutionen, von denen man immer gesagt hat, die werden nie mit der Armee kooperieren, machen jetzt Ausbildungen bei uns. Da hat sich schon etwas getan.
«Jetzt haben wir so ein Window of Opportunity, wo vieles möglich ist.»
Offenbar auf beiden Seiten. Wenn man aufeinander zugeht, dann haben meistens beide eine Entwicklung hinter sich.Klar. Das ist die Neugier. Ich habe das Gefühl, ich lerne genau gleich viel eben in einem Interview oder wenn ich an einem Vortrag halte. Ich glaube, da haben wir jetzt Glück. Glück ist vielleicht übertrieben. Aber jetzt haben wir so ein Window of Opportunity, wo vieles möglich ist.
Interview: thk
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Neugierig?

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