Prof. Dr.-Ing. Martina Hofmann, Geschäftsführerin KEA‑BW
«Eine Transformation ist dringend notwendig.»Prof. Dr.-Ing. Martina Hofmann ist eine Schlüsselfigur in Baden-Württemberg (11.2 Mio Einwohner): Sie ist zweite Geschäftsführerin der Klimaschutz- und Energieagentur-BW und soll den Anteil an erneuerbarer Energie schnell steigern. Ein Traumjob für eine Pionierin wie sie – sollte man meinen…
In Ihren verschiedenen Funktionen sind Sie zweifellos eine Spitzenmanagerin. Welche Qualitäten machen eine Person in einer Spitzenposition zu einer Pionierin?

Es ist in meinen Augen wichtig, dass man sich selber immer wieder hinterfragt und nicht in eingefahrene Kanäle reingeht.

Man muss sich immer wieder auf neue Situationen einstellen können und wollen. Diese Flexibilität im Kopf ist für mich der Schlüssel. Denn wenn Sie nur noch das machen, was Sie schon kennen und immer gemacht haben, dann ist es vorbei mit Pionier sein.

Ich hätte erwartet, dass Sie von Visionen sprechen. Oder von Menschen, die auch bereit sind, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen.Visionen kommen nur, wenn man flexibel ist. Auf Dinge kommen, die sonst keiner macht. Man muss sicher auch kreativ sein, um diese Visionen haben zu können. Und vielleicht auch ein bisschen unkonventionell.
«Ein großes Problem sehe ich in der Trägheit unseres Systems angelegt.»
Da stehen wir vielleicht beim Kernpunkt. Verschiedene Pioniere – good or bad – sind manchmal fixiert und wirken nicht sehr flexibel. Konkret: Sie sind dafür zuständig, dass der Anteil an erneuerbarer Energie in Baden-Württemberg steigt. Was sind diesbezüglich Ihre Herausforderungen?

(lacht) Dass es einflussreiche Menschen gibt, die das nicht wollen!

Ich habe vor etwa zwei Jahren bei der KEA-BW angefangen. Damals dachte ich: Alle Zeichen stehen auf schnell.

Aber ich musste dann feststellen, dass es trotzdem noch genügend Akteure gibt, die es nicht schnell haben wollen und das hat mich und mein Team gebremst.

Dazu gibt es natürlich noch die Menschen, die nicht verstehen oder nicht wissen, was ihnen die Erneuerbaren bringen. Für Laien ist es schwierig, den Überblick über die Faktenlage zu behalten. Was sind wissenschaftlich belegte Aussagen? Und was ist nicht belegt und damit nicht belastbar?

Wenn Sie also die Menschen überzeugen könnten, käme alles gut?Das könnte eine Möglichkeit sein. Ein sehr großes Problem sehe ich aber auch in der Trägheit unseres Systems angelegt.
Unser politisches und gesellschaftliches System hat sich über Jahrzehnte entwickelt und ist immer weiter gestärkt worden. Heute ist es sehr komplex und hat viele gegenseitige Abhängigkeiten. Nur kommt es leider aus einer ganz anderen Zeit mit ganz anderen Randbedingungen und Herausforderungen. Eine Anpassung oder Transformation ist meiner Meinung nach dringend notwendig. Aber es sieht so aus, als ob das entweder nicht geht oder viele Verantwortliche das noch nicht wollen. Damit muss ich vorerst klarkommen.Eine ketzerische Bemerkung: In den USA geschieht das gerade. Was da an staatlichen Institutionen niedergerissen wird – macht Ihnen das eine gewisse Freude, und Sie denken: «Ach, ich würde auch mal gerne so ‘transformieren’ wie die.»

Nein - die können zwar niederreissen, aber nicht was Besseres hinstellen.

Mittlerweile glaube ich auch, dass es in den USA nicht funktionieren wird. Da können Sie gerade beobachten, wie sich das System selber schützt.

Ich glaube mittlerweile: Die Systeme sind stärker und ich muss für mich persönlich das Beste daraus machen.

Das klingt resigniert.

Nein, nur realistisch.

Ich finde auch wichtig, dass die Wählerinnen und Wähler genau aufpassen, wem sie Verantwortung übertragen. Wen schicken wir zum Beispiel in die EU? Tatsache ist: Wir müssen umsetzen, was dort beschlossen wird. Aber ich frage mich schon: Schicken wir wirklich die Fähigsten dahin?

«Ich habe noch nie mit Vorbildern gearbeitet.»
Hier stehen wir vielleicht an einem weiteren Kernpunkt: Als Pionierin müssten Sie davon träumen, sich zehn, zwanzig Mal zu klonen. Die Panikattacke der Pioniere ist, dass sie erkennen müssen, dass sie nur eine Person sind.Jaja, aber damit muss man leben können. (lacht) Ich fände es eigentlich auch schrecklich, wenn es mehrere identische Menschen gäbe. Die Vielfalt ist schon ein Gewinn.Haben sie Vorbilder, an denen Sie sich orientieren können?Nein. Ehrlich gesagt, ich habe noch nie mit Vorbildern gearbeitet. Ich habe immer versucht, einfach das zu tun, was mir als richtig erscheint. Ich lasse mich inspirieren von verschiedenen Menschen und versuche ansonsten, meinem inneren Kompass zu folgen.
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Sehen Sie in den Zeiten des Umbruchs, die aus den USA wie eine Welle über die Welt schwappen, eher eine Chance oder eine Bedrohung?

Ich würde nicht sagen, dass das so etwas Besonderes ist. Es gibt immer wieder diese extremen Dinge, die irgendwo passieren. Jetzt sind die Ängste da wegen der USA, der Umweltschutz, der zurückgeschraubt wird, etc. Es kann auch sein, dass irgendwo ein Vulkan ausbricht, der auch grossen Schaden im Klima anrichtet, oder es gibt ein Problem in einem Atomkraftwerk.

Mich beeinflusst sowas gar nicht mehr. Morgens geht die Sonne auf und abends geht sie unter. Gegen den Lauf der Dinge stelle ich mich nicht. Wenn ich mir da immer Sorgen drüber machen würde, dann wäre ich jetzt schon völlig vergrämt.

«Gegen den Lauf der Dinge stelle ich mich nicht.»
Ich schaue mir an, was da passiert und versuche, das Beste für mich draus zu machen und meinen Beitrag zu leisten.Ob Religion oder sonst was – jeder hat seine Überlebensstrategie und Sinn-Konstruktion im Leben. Es geht doch nicht ohne.Das glaube ich auch. Man kann in der Welt auch nichts bewegen, wenn man in sich nicht rund ist und seinen Sinn im Leben gefunden hat. Das ist etwas ganz Wichtiges. Gerade auch in meinem Alter. Als junger Mensch ist es noch etwas anderes. Da muss man sich noch die Hörner abstoßen. Das hat mein Prodekan an der Hochschule zu mir gesagt – dabei war ich schon zehn Jahre in der Industrie und relativ schnell Studiengangsleiterin. «Hörner abstossen» empfand ich damals als Beleidigung. Aber im Endeffekt hat er Recht gehabt. Ich war noch nicht rund. Mittlerweile bin ich mehr in mir ruhend.Das Zentrale ist bei solcher Kritik, dass man den Spirit nicht verliert und in Zynismus oder Defätismus absinkt, sondern das Visionäre wach bleibt.Ich glaube das Visionäre ist bei mir genetisch verankert. Das geht so schnell nicht verloren.Hörner und Beulen: Hörner abstossen, sich Beulen holen – und daraus lernen. Was würden Sie sich von einer Fee wünschen?

Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft unsere Lebensweise, unsere Kultur verändern: Weg von diesem «schneller, höher, mehr» hin zum Leben.

Ich glaube, wir sind als Gesellschaft irgendwo falsch abgebogen. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit Gesundheit, Ernährung und wie der Körper funktioniert.

«Wir sind als Gesellschaft irgendwo falsch abgebogen.»

Wir ernähren uns schlecht und bewegen uns zu wenig, davon werden wir krank. Das macht auch unser Hirn träge. Man kann das bei einigen Menschen in öffentlich exponierten Positionen beobachten. Diese Menschen sehen mit der Zeit anders aus: Ich nehme an, sie gehen nicht sehr sorgsam mit ihrem Körper um. Das sorgt dann für umfassende Veränderungen und dann haben sie möglicherweise irgendwann ihre Visionen verloren.

Ich habe meine Erfahrungen gemacht und daraus gelernt.

Sie sind Fachfrau für Ressourcenmanagement – im Grossen, aber auch im Kleinen, Persönlichen.Genau. Wir müssen mit dem leben, was uns zur Verfügung steht. Persönlich und im Ganzen.
Ich denke, auch Pioniere kommen immer wieder in Situationen, in denen sie Ängste überwinden müssen. Gibt es Situationen, in denen Sie Angst haben und diese überwinden müssen?Eigentlich nicht mehr. Ich habe bei mir viel aufgeräumt, was ich an irgendwelchen Altlasten aus der Vergangenheit hatte. Ernsthaft – es fällt mir nichts ein, wovor ich Angst hätte.Eindrücklich. Hat es irgendein Schlüsselerlebnis gegeben? Das klingt, als ob Ihnen jemand im richtigen Moment den Spiegel vorgehalten hätte.Ja, das gab es. Ich habe einen neuen Coach gefunden, der mich intensiv begleitet. Er hat mich angeguckt und gesagt: «Hey du. Deine Waage ist völlig aus dem Gleichgewicht. Du musst jetzt was machen, sonst war es das. » Das war der Anstoß.Eine vorletzte Frage, die man jedem Pionier gerne stellt: Wie haben Sie es mit der Geduld?

(lacht) Das ist sehr unterschiedlich bei mir. Das kommt ganz drauf an, worum es geht. Es gibt Dinge, da habe ich unglaublich viel Geduld. Keine Ahnung, wo das herkommt. Aber bei anderen Sachen dreh ich durch, wenn es nicht schnell geht. Da könnte ich in die Tischkante beißen. Aber auch an der Geduld arbeite ich.

Andere Menschen haben einfach einen anderen Rhythmus als ich oder andere Möglichkeiten. Das muss ich akzeptieren.

Ich bin eben sehr schnell, effizient und zielgerichtet. Wenn ich mich an irgendwas festbeiße, dann kriegt mich keiner mehr los, bis das durch ist. Das kann ich nicht von allen anderen auch erwarten.

Sie verwenden häufig den Begriff «arbeiten». Sogar, wenn es um Geduld geht.Ja, ich bin wirklich ein totaler Workaholic in alle Richtungen. Ich glaube, es ist genetisch.
«Ich bin wirklich ein totaler Workaholic in alle Richtungen.»
Kämpfen Sie oft mit Selbstzweifeln?

Ich beobachte mich oft in Situationen, wie ich auf andere Menschen wirke. Ich reflektiere viel. Ich will wissen: «Was mach ich hier eigentlich gerade? Bin ich jetzt hier der Elefant im Porzellanladen oder mache ich jetzt hier was Gutes?»

So viel Selbstzweifel dürfen schon sein.

Frau Prof. Hofmann, ich danke Ihnen für das spannende Gespräch.
Interview: thk
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