Matthias Schupp, CEO medartis, Basel
«Euphorie wird langsam geweckt.»Matthias Schupp war 17 Jahre beim Zahnimplantathersteller Straumann und davon die letzten 13 Jahre in Brasilien tätig. Seit November 2024 ist er CEO bei Medartis in Basel, die mit innovativen Titanimplantaten den Weltmarkt beliefert. Schupp weiss: Wenn er an seine Erfolge aus der Vergangenheit anknüpfen will, braucht es mindestens zwei Charaktereigenschaften – er braucht ein offenes Ohr und Pioniergeist.
Herr Schupp, was sind die Qualitäten, die einen Pionier ausmachen?Dass er mutig ist, neue Wege beschreitet, kurios ist und dass er das auch versucht, in die Tat umzusetzen. Dazu braucht es Mut, aber auch immer ein gutes Team. Dann stellen sich auch die Erfolge ein.Trifft das auf Sie zu?Ich bin sicher kein Pionier, wenn man den Begriff im klassischen Sinn Entwicklung und Erfindung definiert. Ich glaube eher, wenn es darum geht, Teams zu bilden und neue Wege zu beschreiten – auch wenn es um die Firmenkultur geht.Sie haben gesagt, Mut sei ein Charakterzug eines Pioniers. Mut meint das Überwinden von Angst. Wann haben Sie Angst gehabt?Mehrmals in unterschiedlichen Situationen. Schon ganz früh in meiner beruflichen Laufbahn: Vor 25 Jahren ging es ganz plötzlich raus aus der Komfortzone und mit der Familie auf nach Russland. Da hatte ich schon Angst. Eine ganz neue Kultur und Sprache gepaart mit einem instabilen politischen und ökonomischen Umfeld. Da hatte ich ein bisschen Bammel. Aber Angst ist so ein hartes Wort. Ich würde sagen, es ist eher Respekt.Überwindung?Ja, das trifft’s. Da spielt auch die Familie eine Rolle. Das verkennen wir oft: Es ist die Familie, die einem den Rücken freihält oder stärkt für diese Abenteuer und Aufgaben.
«Aussagen, wie ‘Das ist schwierig.’ oder ‘Das geht nicht’, funktionieren bei mir nicht.»
Dafür sprechen Ihre Kinder jetzt Russisch?Meine Frau, ja. Die Kinder sind dort in eine internationale Schule gegangen, eine amerikanische. Insofern war das aber auch für sie eine Riesen-Weiterentwicklung im Leben. Es ist Win-win. Ich muss sagen: Bei allen Höhen und Tiefen in meinem beruflichen Leben war alles im Nachhinein eine wichtige Lernerfahrung und ein Erfolg.
Wir leben in unsicheren Zeiten. Wo sehen Sie da die Chancen oder Gefahren für sich, für Ihr Unternehmen?

Digitale Transformation. Das ist eine Riesenchance. Aber es ist auch ein Thema, das viele unserer Mitarbeiter mit Ängsten belastet. «Oh, das überrollt mich. Das eliminiert meinen Arbeitsplatz.» Ich habe das speziell in den letzten vier Jahren sehr stark auch eingebettet in unsere Kulturreise. Die Leute abholen und zeigen, dass diese digitale Transformation schon seit Jahrzehnten Platz in unserem Leben einnimmt. Das wird teilweise nicht wahrgenommen. Telex, Kabeltelefon, das kennen Sie noch. Heute telefoniert kaum mehr jemand. Dann Fax, E-Mail. Die Dokumente wanderten vom Papierordner in den Computer.

Und heute sprechen wir von KI.

Was ja noch längst nicht ausdiskutiert ist.Davor habe ich grossen Respekt. Auch Angst, wenn ich ans Unternehmen denke. Wieviel Daten gehen da verloren? Sind vertrauliche Daten plötzlich öffentlich verfügbar? Wir müssen da etwas vorleben, aber auch Verständnis dafür zeigen, dass viele Mitarbeitende davor Angst haben.Wenn ich von Umbruch spreche, meine ich auch die politische Situation.

Ich sehe das ein bisschen relaxter. Ich war in El Salvador kurz nachdem der Bürgerkrieg zu Ende ging. Ich war im Jahr 2000 in Russland, wo die russische Finanzkrise von 1998 deutliche Spuren hinterliess, und einen grossen Umschwung bedeutete. Ich komme jetzt zurück aus Brasilien, nach 13 Jahren, war aktiv eingebunden in Argentinien. Ich habe disruptive politische Veränderungen erlebt und habe gelernt, damit umzugehen und eine gewisse Distanz aufzubauen.

Wir tendieren dazu, immer erst mal das Negative zu sehen. Diese Zölle von Trump. Ich wurde vom SRF Reporter gefragt: «Sind Sie im Schock?» War ich nicht. Ich habe mich frühzeitig damit beschäftigt. Trump hat es ja angekündigt. Ich habe schon früh gesagt, dass sich das regulieren wird. Tatsache ist: Zuerst hiess es 31%. Dann hat Trump sie ausgesetzt. Danach hiess es 10% und später 50%. Keiner weiss es. Wir haben rasch interne Gegenmass- nahmen ergriffen und werden uns an die neue Realität anpassen.

Das war ein Lernen, ganz relaxed ranzugehen und abzuwarten, was passiert. Ich glaube, Brasilien war eine harte Schule.

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Da haben Sie für Straumann gearbeitet.Ich war 17 Jahre bei Straumann und davon fast 13 in Brasilien.Da konnten Sie sich selbst auch einbringen. Oder mussten Sie ausführen, was Ihnen aus Basel gesagt wird?

Natürlich konnte ich mich einbringen. Wir haben 2012 das Familienunternehmen Neodent gekauft, das im brasilianischen Markt mit unter 30% Anteil Nummer Drei war im Implantat-Geschäft. Aufgrund meiner Lateinamerikaerfahrung und auch Sprachkenntnis war ich prädestiniert. Es stellte sich aber heraus, dass die Firma eigentlich ein Turnaround-Kandidat war und nach aussen besser gewirkt hat, als sie tatsächlich war. Es bestand die Gefahr einer Wertminderung der Bilanzwerte.

Die Braut wurde für den Verkauf aufgehübscht. Aber nach sechs Monaten Analyse kam ich zum Schluss, dass Neodent das Potenzial hatte, um ein internationaler Player zu sein.

2014 gab’s wieder Wachstum. Im November 2024, als ich ausgeschieden bin, lag der Marktanteil in Brasilien bei weit über 60% und vom Volumen her hat Neodent die grösste Implantat Produktion der Welt.

Ich möchte zurückkommen zum Pionier. Als Pionier möchten Sie gerne etwas Neues, Ausserordentliches schaffen. Was haben Sie noch auf Ihrem Wunschzettel diesbezüglich?Mein grosser Wunsch und Traum ist, mit Medartis zu wiederholen, was wir gerade mit Neodent erreicht haben. Also Medartis weltweit als führendes Orthopädieunternehmen im Bereich Hand und Handgelenk zu etablieren und nicht nur als irgendeine Nummer im Weltmarkt. Wir haben alles, um auch in einigen Bereichen Weltmarktführer zu werden und so das Unmögliche möglich zu machen.Wie?Wir müssen die Leute begeistern. Aber dafür müssen die Zahlen stimmen. Wir müssen uns beweisen. Das wird sich peu a peu entwickeln. Euphorie wird langsam geweckt. Das ist nichts, was von heute auf morgen passiert. Aber diesen Traum habe ich. Und er ist realistisch.Und welchen Wunschtraum haben Sie für die Welt?(lacht) Wenn ich einfach wünschen dürfte? Wäre schön, wenn wir die Krisenherde nicht mehr hätten in der Welt. Wenn es keinen Rassismus mehr gäbe und wir wirklich harmonisch zusammen- leben könnten. Das Aushalten von Diversifikation, die Bereitschaft zu Integration – das fehlt uns heute noch.
«Die digitale Transformation ist eine Riesenchance.»
Haben Sie Vorbilder?Tja, da nennt sicher jeder Nelson Mandela.Nein, nicht wirklich.Ich denke, ich habe Vorbilder in der Familie. Wir sind eine Multikultifamilie. Da ist Mandela sehr nah. Ich habe eine lateinamerikanische Frau. Meine Kinder sind latinohaft. Wir haben nicht nur in der Schweiz gelebt, auch in Deutschland. Da erlebt man allerlei Dinge. Da ist meine Frau ein Vorbild, wie sie das gemanagt hat. Die verschiedenen Kulturen in Deutschland, Russland und sonst wo. Wie sie die Community für sich geöffnet hat. Sie hat sich nie zurückgezogen und den Schutzraum gesucht. Hut ab.
Dann sind Mandela und Ihre Frau Ihre Vorbilder?(lacht) So ist es – genau. Es war manchmal hart, besonders in Russland. Nur schon die Kälte. Und auch mit den Russen. Das ist nicht einfach.Wenn es um neue Entwicklungen geht, müssen Sie als CEO mit internen und externen Widerständen umgehen. Was sind Ihre Strategien und Erfahrungen?

Ich höre zu. Bin aber auch sehr transparent. Ich fordere Argumente ein, gebe auch meinen Beitrag ab und bin immer offen für einen robusten Dialog. 

Was bei mir überhaupt nicht funktioniert sind Aussagen wie: «Das geht nicht.», «Das haben wir immer so gemacht.», «Das ist schwierig.» Wenn dann keine Argumente kommen, bin ich auch jemand, der manchmal top down entscheidet.

Grundsätzlich ist es für mich der Dialog, das Diskutieren, der Versuch, zum gemeinsamen Nenner zu kommen. Aber letztlich bin ich der, der die Entscheidung fällt und die Verantwortung trägt.

«Ich will eine sehr agile Firmenkultur…»
Da haben Sie sicher Mentalitätsunterschiede erlebt.Ja, klar. Gerade in der Schweiz – mehr noch als in Brasilien – ist die Tendenz, dass man hier alles versucht auszudiskutieren.Die Grenzen des Dialogs?Wenn es nicht gelingt, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, muss ich bereit sein, ins Risiko zu gehen. Auch wenn ich erst 80% der Informationen habe. Das funktioniert, weil ich eine sehr agile Firmenkultur will. Entscheidungen werden getroffen. Wir erlauben aber auch, Fehler zu machen. Jedem, das nehme ich auch für mich in Anspruch. Ich bin nicht perfekt. Entscheidungen müssen getroffen werden. Die können auch falsch sein. Endloses Warten bringt einen nicht voran. Das ist das Problem vieler Unternehmen.Wie funktioniert das bei Ihnen mit dem Zuhören?

Das beginnt mit der offenen Bürotür. Jeder kann reinkommen. Nicht nur mein direktes Team. Jeder kann kommen, jeder kann mich ansprechen. Ich bin auch viel im Unternehmen unterwegs, bin präsent und im engen Austausch mit den Leuten.

Da kommen teilweise interessante Ideen. Dann planen wir ein separates Meeting und vertiefen das.

Es kommen auch Mitarbeitende mit Fragen, die sie zum Beispiel zu meinen monatlichen Video-Botschaften haben. So sind Sie immer gut informiert, was da in der Chefetage im 8. Stock passiert und entschieden wird. Das löst Fragen aus. So spüre ich, ob die Strategie verstanden wird.

Dazu kommen auch der Austausch über meine Kommunikations-abteilung und natürlich Social Media mit einem Fokus auf LinkedIn. Dieser kulturelle Kommunikationsapparat hat sich über Jahre entwickelt. Und schliesslich mache ich auch noch wöchentlich einen Podcast für Radiogesellschaften in Brasilien.

Herr Schupp, ich danke Ihnen für das Gespräch.
Interview: thk
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