Peter Metzinger, «Mr. Campaigning»
«Unmöglich ist nur ein anderes Wort für Veränderung»Peter Metzinger, seit 1998 oft als «Mr. Campaigning» der Schweiz bezeichnet, ist eine Koryphäe für Kampagnen, bei denen es darum geht, schwierige Überzeugungsarbeit zu leisten. Seit Jahrzehnten prägt er mit seiner Expertise Wahlkämpfe und Abstimmungskampagnen, aber auch interne Veränderungsprozesse in Unternehmen. Obwohl er spannend und gerne erzählt, weiss er: Erfolg hat nur, wer intensiv und lange zuhört, bevor er «auf Sendung» geht.
Herr Metzinger. Wenn «Mr. Campaigning» mit künstlerisch echt gelungenem AC/CD-T-Shirt zum Interview lädt, ist das kein Zufall, sondern Botschaft. Welche?Ja. Tatsächlich. Ich bin engagiert in einem Start-up, das aktuell Hawaii-Hemden und weitere Mode sowie Accessoires in Zusammenarbeit mit AC/DC produziert. Wir stehen zeitlich unter Druck. In sechs Wochen spielt die Band in Europa. Dann muss alles bereit sein. Ab 2026 kommen weitere Marken hinzu, die auf ihre Art Kultcharakter haben. Wir machen «Loud Fan Art Fashion».AC/DC habe ich erstmals 1980 gesehen.Echt? Ich auch. In Saarbrücken. In der Nacht davor wurde John Lennon erschossen. Da war ich 16 Jahre alt. 9. Dezember – für mich ein sehr wichtiges Datum. Seither habe ich AC/CD etwa 50-mal gesehen.
«Campaigning heisst Dialog: Zuerst aktives Zuhören und dann erst Reden.»
Sie haben schon sehr viel gemacht in Ihrem Leben. Als Campaigner hatten Sie eine Firma mit zehn Angestellten. Jetzt sind Sie wieder alleine unterwegs. Was sind Sie? Berater?

Ich bin Aktivist, Campaigner.

Als ich mich selbstständig gemacht hab 1998 war das mehr aus der Notwendigkeit heraus. Ich bin ja von der Ausbildung her Physiker, war 13 Jahre bei Greenpeace.

Ich habe gemerkt: Was ich im Campaigning gelernt habe, hilft eigentlich in allen Bereichen. Denn es geht letztendlich darum, das Verständnis, die Einstellung oder das Verhalten von Menschen zu verändern, damit sie einem helfen, ein Ziel zu erreichen, das man nicht einfach befehlen kann.

Was ist das absolut Zentrale?

Campaigning heisst Dialog: Zuerst aktives Zuhören und dann erst Reden.

Es geht letztlich immer darum, mehr Einfluss zu haben auf Personen und Organisationen.

Da sind wir beim Pionier – das ist ja sein Ziel und seine Aufgabe.Genau. Ich habe in der Zeit meiner Selbständigkeit gemerkt, dass man mit dem Campaigningansatz Marketing- und Kommunikations- ziele erreichen kann mit weniger Ressourcenaufwand, weil man einfach viel intensiver analysiert und dadurch besser versteht, wie eigentlich die Zielgruppen funktionieren und was sie wirklich bewegt. Wenn ich das weiss, dann weiss ich auch, welche Mittel mich am schnellsten zum Ziel führen.
«Viele Leute würden mich als verrückt bezeichnen, weil ich Risiken eingehe.»
Was macht einen Pionier aus, vom Charakter her?Man muss ein visionäres Ziel haben. Ein Ziel, das sich erstens deutlich vom heutigen Zustand unterscheidet und zweitens von der Wertigkeit her die Leute auch wirklich bewegen kann. So wie das Saint-Exupéry ausgedrückt hat: «Willst du ein Schiff bauen, rufe nicht Menschen zusammen, die mit Holz und Werkzeugen umgehen können, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem grossen, endlosen Meer.»Die Vision als Motor.Genau. Und das ist die Aufgabe des Pioniers. Wie Steve Jobs im Video «Here’s to the crazy ones». Da erklärt er: Es sind die Verrückten, die die Welt verändern.Wie verrückt sind denn Sie?Total verrückt. (lacht)Das kann jeder sagen. Gesunde Verrücktheit muss man sich verdienen. Wie zeigt sich das bei Ihnen?

Viele Leute würden mich als verrückt bezeichnen, weil ich Risiken eingehe. Ich war im Dschungel, habe mich dort für den Regenwald eingesetzt und geriet fast in einen Hinterhalt von Holzfällern, die uns erschiessen wollten.

Ich habe ein Collaborative Innovation Network für Power-to-X mit aufgebaut, wo von der Armee über SBB und Swiss bis zu Zürich Airport Mitglieder dabei sind. Alle, die sich mit synthetischen Brenn- und Treibstoffen sowie Wasserstoff beschäftigen.

1/2

Ich leite gerade eine Machbarkeitsstudie für den Bau einer Demonstrationsanlage für synthetisches Kerosin im Kanton Aargau. Ich spiele in der Rockband «300 Rock», die vor ein paar Wochen eine Single rausgebracht hat und springe da wild im Spartanerkostüm über die Bühne.

Ich bin Gemeinderat, verkehre mit Leuten aus der AC/DC Fanszene, gehe im Bundeshaus ein und aus – und komme mit allen gut aus.

Wenn Sie auf die Schnelle etwas verwirklichen könnten, magisch wie Harry Potter. Was wäre das?

Dass die Menschheit eine Aufklärung 2.0 erlebt. Wo die Werte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ergänzt würden durch Wissenschaft.

Dass Politik anhand von Fakten gemacht wird unter Respektierung der Würde der Menschen – in Freiheit. Das wäre mein größter Wunsch.

Nur: Der Wind bläst gegenwärtig aus einer ganz anderen Richtung.Ja. Deswegen wünsche ich es mir so sehr. Aber ich habe es mir schon immer gewünscht.
«Angst kann auch gut sein. Denn Angst schärft die Sinne.»
Ist diese disruptive Zeit für Sie eher eine Gefahr oder eine Chance?Beides – wie in jeder Krise. Das chinesische Zeichen für Krise setzt zusammen sich aus den Zeichen für Chance und Gefahr. Wer nur die Gefahren sieht, der sieht die Chancen nicht. Aber die Chancen sind immer da. Eine Chance ist, dass Europa sich auf die alten Werte besinnt und sich findet. Eine andere Chance ist, dass die Leute erkennen, wie verheerend die Entwicklungen der letzten Jahre sind mit der ganzen Polarisierung, den Fake News und gezielter Desinformation, die zum Teil durch Russland gesteuert wurde. Mit diesem Thema habe ich mich auch seit fünf Jahren intensiv beschäftigt.Wo liegen noch weitere Chancen?Wir haben Lösungen für die großen Probleme, die aufgrund von ideologischen Scheuklappen verhindert werden. Hier ist die linke Seite genauso schlimm. Da ist zum Beispiel der Kampf gegen den Verbrenner und für die reine Elektromobilität. Natürlich ist Elektromobilität wünschenswert, da wo man erneuerbaren Strom nutzen kann. Aber es ist auch eine Tatsache, dass ein Verbrenner, der mit synthetischen Treibstoffen fährt, genauso klimafreundlich ist wie ein Elektrofahrzeug.Sie haben gesagt, Sie seien verrückt und gehen Risiken ein. Hat es denn in Ihrem Pionierleben Situationen, in denen Sie Angst überwinden müssen?

Als Pionier begibt man sich auf unbekanntes Terrain. Man weiß nicht, was einen erwartet. Natürlich löst das Ängste aus. Als ich mich selbständig machte, hatte ich schlaflose Nächte, wenn ich nicht ein halbes Jahr im Voraus ausgebucht war.

Angst kann auch gut sein. Denn Angst schärft die Sinne. Und wenn die Sinne geschärft sind, dann achtet man eben auf alle Signale, solange man sich nicht lähmen lässt.

Wie haben Sie es mit der Geduld?Sowohl als auch. Als Pionier denkt man viel «sowohl als auch» statt «entweder oder». Es gibt Situationen, da bin ich extrem ungeduldig. Und dann gibt es Situationen, wo ich die Geduld in Person bin. Das kommt ganz auf den Zusammenhang an.
Haben Sie Beispiele?

Synthetische Treibstoffe. Dafür setze ich mich jetzt seit zwölf Jahren ein. Einerseits habe ich die Geduld weiterzumachen, auch wenn es extrem langsam geht in der Politik. Und andererseits bin ich ungeduldig, weil der Klimawandel uns davongaloppiert.

Mit Personal war ich oft zu ungeduldig.

Weshalb?

Als Pionier beschäftigt man sich ganz intensiv mit der Thematik. Dann unterliegt man dem Fluch des Wissens. Man ist Experte und kann sich nicht mehr in andere hineinversetzen, die mit dem Thema nicht so vertraut sind. Dann denkt man, man hat es ihnen doch erklärt, wieso kapieren die das nicht – und schon habe ich zu wenig Verständnis für Fehler.

Da braucht man viel, viel, viel, viel mehr Geduld als ich sie habe.

Haben Sie Vorbilder?Klar: Angus Young auf der Gitarre.
«Als Pionier unterliegt man dem Fluch des Wissens.»
Dann noch Albert Einstein und Steve Jobs.Bei Angus ist es mir klar. Einstein und Jobs?

Einstein wegen der Wissenschaft und dem kritischen Denken. Als Physiker hat man sowieso Albert Einstein als Vorbild.

Steve Jobs wegen der Fokussiertheit und der Fähigkeit, maximal zu reduzieren. Das sehe ich auch bei AC/DC: maximal reduziert – auf den Punkt gebracht. Und immer wiedererkennbar.

Das finde ich faszinierend, denn auch beim Campaigning musst du so eine klare Identität im Kopf haben. Die Vision ist letztendlich eine Marke. Die Marke musst du in den in den Herzen, Bäuchen und Köpfen der Leute verankern – und zwar ganz klar.

Können Sie Beispiele nennen?

Campaigning ist Dialog. Wenn ich die Zielgruppe nicht zu 100% verstehe, mache ich Workshops mit den Leuten und lasse die Kampagne von denen entwickeln. Als wir das 2003 das erste Mal gemacht hatten, war das für den NuvaRing, ein Verhütungsmittel für Frauen.

Auch für den Film «Mein Name ist Eugen» wurde die Marketing-Strategie von der Zielgruppe entwickelt.

Auch schon 20 Jahre her, aber ein überraschend guter Film.Finde ich auch. Wir zeigten eine Rohfassung des Films in vier Workshops Leuten von 6 bis 84 Jahren. Dann haben wir sie frei assoziieren lassen, was ihnen dazu eingefallen ist.Ihr wichtigster Slogan heisst «Unmöglich ist nur ein anderes Wort für Veränderung». Wie soll ich das verstehen?Die alten Griechen dachten lange, die Erde ruhe auf einer Schildkröte und fragten sich, worauf diese denn ruhen möge. Denn alle Dinge fallen bekanntlich nach unten. Das Problem wurde erst durch Anaximander gelöst, der die gleiche Beobachtung in andere Worte fasste: «Alles fällt zur Erde». Problem gelöst. Und so ist es oft mit schier unlösbaren Problemen. Oft genügt es, die Beschreibung – und damit auch die Sichtweise darauf – zu verändern, um eine Lösung zu finden. Wer etwas ändern will, muss auch bereit sein, etwas zu verändern.Vielen Dank. Damit scheint mir alles geklärt – für den Moment.
Interview: thk
2/2
Neugierig?

Anwendungsfälle entdecken